Von Dakar über Beijing nach Pan-Afrika

Die Inspiration für die Architektur des Museums der schwarzen Zivilisationen kam von den Mof Ëwi-Impluvium-Häusern des Reiches Bandial in der Casamance im äußersten Süden Senegals [1]

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Günther Lanier, Ouagadougou 1.12.2021[2]

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Über die letzten Jahrzehnte ist die Volksrepublik China nicht nur zur Wirtschaftsgroßmacht, sondern auch zu einer wichtigen Partnerin afrikanischer Staaten geworden. Die Ex- und Neo-Kolonialmächte malen gerne das Gespenst einer feindlichen chinesischen Übernahme Afrikas an die Wand. Doch scheinen die Verbindungen weniger eng gediehen als es heißt, zumindest wenn wir den Coronavirus als Indikator nehmen: Obwohl der aus China kam, erfolgte die Ansteckung in den afrikanischen Staaten ganz überwiegend aus Europa – wie alles andere Gute kam von dort ein gutes Jahrhundert nach der Kolonisierung auch die Coronisierung.

Kurz nach dem Besuch des US-Außenministers Antony Blinken im Senegal hat in Dakar gerade ein zweitägiger chinesisch-afrikanischer Gipfel stattgefunden, das “8. Forum chinesisch-afrikanischer Kooperation“, ein Treffen auf Minister-Ebene. Nur der senegalesische und der chinesische Präsident waren auch anwesend[3]. Letzterer hat unter anderem 1 Milliarde Covid-Impfdosen für den Kontinent versprochen – schon bisher war Beijing der wichtigste Lieferant, wesentlich großzügiger als Europa oder die USA.

Wenn es nicht um globale Vormacht geht und darum, wie die USA mit Krieg drohen, um nicht wirtschaftlich ins Hintertreffen zu geraten, ist China in den letzten Jahren vor allem mit seinem gigantischen Neuen Seidenstraßen-Projekt in den Medien der Satten Welt vertreten. In diese sind auch mehrere afrikanische Staaten eingebunden, wobei diese überwiegend am Indischen Ozean[4] und am Mittelmeer liegen.

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Dass Beijing auch in ganz anderer Hinsicht Unterstützung leistet, ist am Musée des civilisations noires, also dem Museum der schwarzen Zivilisationen[6] nachweisbar, das den Nordostrand der “Altstadt“ von Dakar (das “Plateau“) ziert.

Dieses Museum ist “die Frucht eines langen, von wichtigen Veränderungen begleiteten Prozesses, der seit über 50 Jahren andauert. Es ist also ein sich beständig weiterentwickelndes Projekt, modelliert durch eine reiche kulturelle und intellektuelle Geschichte, das die schwarzen Zivilisationen in der Weltzeit feiern soll.“ So die überschwängliche Fußnote, “rappel de l’histoire“ genannt, also “Hinweis auf die Geschichte“, die jede einzelne Internet-Seite des Museums (s. https://mcn.sn/) links unten schmückt.

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Wenn auch nicht gerade alle Einzelheiten der Architektur des Museumsbaues es tun, so wird das Museum diesem Überschwang inhaltlich mehr als gerecht. Was hier ausgestellt wird, ist sowohl an Quantität als auch an Qualität mehr als beeindruckend. Von selbst wäre ich nicht auf die Idee gekommen hinzugehen – wie ich gleich berichten werde, hat Abdoulaye Wade einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung geleistet, und dessen gigantomanisch-hässliches “Monument de la Renaissance africaine“ (Monument der afrikanischen Renaissance) auf einer der beiden Mamelles (Zitzen) in der Nähe des alten Flughafens von Dakar ist ja das genaue Gegenteil einer Empfehlung. Mein Dank gilt Gerlinde Paschinger, der österreichischen Botschafterin in Dakar, die mich mit Nachdruck zum Besuch animierte.

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Geboren hat die Museumsidee angeblich der Gründerpräsident Senegals, Léopold Sédar Senghor, als Folge des 1966 auf Initiative von Présence Africaine[9] und Société africaine de culture[10] (Afrikanische Kulturgesellschaft) abgehaltenen Festival mondial des arts nègres (Welt-Festival der Künste der Schwarzen). Seine Intention war, ein panafrikanisches[11] Museum zu gründen, um afrikanischem Kulturgut einen ihm zukommenden Platz zu bieten. An dem Vorhaben wurde in den 1970er Jahren weitergearbeitet, doch trotz des Interesses des Staatschefs wurde nichts daraus.

Erst unter Abdoulaye Wade ging dann etwas weiter. 2009 verkündete er den Bau des Museums und am 20. Dezember 2011 legte er dessen Grundstein. Wichtigster Anwesender bei dieser Zeremonie: der chinesische Botschafter. Beijing hatte einen 20 Mrd F Cfa-Kredit gewährt, etwas mehr als 30 Mio Euro. Gebundene Hilfe (tied aid) gibt es auch in der chinesischen Entwicklungszusammenarbeit: mit dem Entwurf war das Beijing Institute of Architecture, mit dem Bau selbst die Shanghai Construction Group betraut.

Zwei Jahre hätte der Bau dauern sollen. Doch es kam zur Unterbrechung, nachdem Wade 2012 abgewählt worden war. Unter seinem Nachfolger Macky Sall wurde erst ab 2015 weitergebaut[12]. Das Museum eröffnete schließlich Anfang Dezember 2018. Einen Monat später war es auch für normales Publikum zugänglich.

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Zum Neugierigmachen – und als Anregung, tatsächlich das Museum der schwarzen Zivilisationen zu besuchen – zeige ich hier abschließend eines der Ausstellungsstücke: eine “Figur der Kraft“ (power figure, die Kraft, um die es geht, ist eine spirituelle, die Figuren haben große soziale Bedeutung), ein nkisi nkondi aus den Mayombe-Bergen in West-Kongo-Kinshasa: oben die gesamte 2,45m hohe Statue und unten ein zentrales Detail – in dem, was dieser “Gebärmutter“ eingefügt ist, konzentriert sich die Kraft des nkisi nkondi.

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Endnoten:

[1] Enampore, 20 km westlich der Casamance-Hauptstadt Ziguinchor, Foto Ji-Elle 14.1.2008, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:EnamporFromager.JPG. Ein Impluvium ist ein Wasserbecken im Zentrum eines Hauses, wie es im antiken Rom weitverbreitet war. Zu den Impluvium-Häusern der Casamance siehe Unesco, Architecture rurale de Basse-Casamance: Les cases à impluvium du royaume Bandial, http://whc.unesco.org/en/tentativelists/2076.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Zur Eröffnung wurden u.a. ein paar andere Präsidenten und der UNO-Generalsekretär per Video zugeschaltet. Siehe https://www.rfi.fr/fr/podcasts/invit%C3%A9-international/20211129-sommet-chine-afrique-%C3%A0-dakar-il-y-a-un-vrai-probl%C3%A8me-de-transparence.

[4] China war seit jeher Teil der auf den Handelsbeziehungen des Indischen Ozeans beruhenden Globalisierung, die gegenüber der kapitalistischen viele Jahrhunderte Vorsprung hatte. Nur einmal und während kurzer Zeit gab es jedoch chinesischerseits den Versuch, in Übersee Fuß zu fassen. Ich habe davon kurz berichtet in Günther Lanier, Klimawandel und Kulturerbe, Radio Afrika TV 19.8.2020. In Romanform beschäftigt sich mit ebendiesem Thema Yvonne Adhiambo Owuor, The Dragonfly Sea, New York (Vintage Books) 2020 (© 2019).

[5] Das Musée des civilisations noires von außen. Im Vordergrund ein Megalithen-Kreis, wie er für Gräber in Teilen Senegambias vom 1. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung bis ins 16. Jahrhundert üblich war. Foto GL 18.7.2021.

[6] Ich habe von dessen Schätzen schon einige gezeigt in meinem Artikel “Felsenkunst aus dem Museum“ vom 22.9.2021, siehe (leider unvollständig, was die Fotos betrifft) https://www.radioafrika.net/felsenkunst-aus-dem-museum/. Mit allen Fotos: https://www.africalibre.net/lang/deutsch/artikel.php?page=11 (jeden Mittwoch erhöht sich mit einem neuen online gestellten Artikel diese Zahl um 1).

[7] Die Eingangshalle des Museums. Foto GL 18.7.2021. Für die Fotografiererlaubnis gilt dem Museum mein herzlicher Dank!

[8] Die zentrale Halle des Museums. Um diese herum sind in mehreren Stockwerken die eigentlichen Ausstellungsräume gruppiert. Foto GL 18.7.2021.

[9] Eine vom Verlag gleichen Namens herausgegebene panafrikanische Zeitschrift.

[10] Ein 1956 gegründeter Verein aus dem Umkreis von Présence Africaine. Sein Ziel ist die Förderung schwarzer Kultur und auch die “Entwicklung bzw. Sanierung der universellen Kultur“. Seit 2006 heißt der Verein Communauté africaine de culture, also Afrikanische Kulturgemeinschaft, und Wole Soyinka wurde zu seinem Präsidenten.

[11] Freilich gilt es bei Senghor skeptisch zu bleiben: Seine Frankophilie behält oft die Oberhand.

[12] Solches Schwanken zwischen einem Ding und seinem Gegenteil ist auch in der Politik ein Kennzeichen Macky Salls, und das nicht nur in der Personalpolitik – jüngst hat er zu erkennen gegeben, das PremierministerInnen-Amt wiedereinführen zu wollen. Erst im Mai 2019 hatte er den Posten abgeschafft “um an Effizienz zu gewinnen“. Nunmehr handle es sich darum, “die Organisation der Exekutivgewalt an eine neue ökonomische und sozio-politische Umwelt anzupassen“. Siehe https://www.rfi.fr/fr/afrique/20211124-s%C3%A9n%C3%A9gal-vers-la-restauration-du-poste-de-premier-ministre.

[13] Foto GL 18.7.2021.

[14] Foto GL 18.7.2021. Am Netz ist zu den nkisi nkondi einiges zu finden, sie sind offenbar auch unter KunstsammlerInnen sehr begehrt.