Erinnerungen an ein anderes Karthago

Karthago und seine Einflusssphäre vor dem 1. Punischen Krieg (264 vor unserer Zeitrechnung)[1]

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Günther Lanier, Ouagadougou 19.1.2022[2]

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Ceterum censeo Carthaginem esse delendam. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.

Nein: Ich will keineswegs zum Sturz dieses eigenartigen Präsidenten Kaïs Saïed aufrufen (der präsidiale Palast steht in Karthago), der am 25. Juli 2021 fast alle Macht im Staat an sich gerissen hat. Ich zitiere vielmehr den römischen Senator Cato den Älteren (234-149 vor der Zeitenwende), der in der Zeit vor dem 3. Punischen Krieg alle seine Reden, egal wovon sie handelten, mit diesem Ausspruch beendet haben soll. Im Jahr 150 vor der Zeitenwende gab der Senat Cato nach und im folgenden Krieg konnte Rom vier Jahre später die phönizische Großmacht besiegen, von der es zuvor lange in den Schatten gestellt worden war.

“Karthago“ bedeutet “neue Stadt“, was sich auf seine Mutter-Stadt Tyros bezieht, die alte phönizischen Metropole im Süden des heutigen Libanon, wo Europa geboren wurde (die Europa der griechischen Mythologie – aber das ist eine andere Geschichte). Nach einer weiten Reise übers Mittelmeer gegen Westen, bis ins heutige Tunesien, soll die Königstochter Elissa, von den RömerInnen Dido genannt, Karthago im späten 9. oder frühen 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung gegründet haben[3]. Dass es tatsächlich SiedlerInnen aus Tyros waren, die Karthago um diese Zeit herum zum Leben verhalfen, ist gesichertes historisches Wissen.

Was heute aus der Antike erhalten ist, stammt aus der Zeit nach der Niederlage des phönizischen Khartago – die alte Stadt war zerstört, im 1. Jahrhundert vor der Zeitenwende unter Gaius Iulius Caesar neu gegründet worden und hatte sich bald zur Großstadt entwickelt.


Pius Antoninus-Thermen[4]

Es war Mitte Juli 2018. Ich hatte meinen Flug von München zurück nach Ouagadougou ein paar Tage in Tunis unterbrochen, um die Stadt kennenzulernen[5]. War begeistert von der alten Innenstadt, wo ich auch untergekommen war. Am Montag, den 16. Juli, machte ich dann einen Ausflug nach Karthago – heute ein nobler Vorort von Tunis, etwa 15 km nordöstlich von dessen Zentrum.

Ruinen bedeuten mir nicht viel, aber wo ich schon einmal in der Nähe war... Zudem hoffte ich, einen Blick auf den präsidialen Palast zu erhaschen. Letzteres gelang mir – die Ruinen aber habe ich nicht gefunden. Ich hatte mich nicht wirklich vorbereitet, hatte eigentlich geglaubt, dass es Wegweiser geben würde oder der Weg zu erfragen sein würde – meine diesbezüglichen Versuche erbrachten rein gar nichts. Wahrscheinlich haben die KarthagerInnen die Nase voll von dummen TouristInnen wie mir. Ich war bei der falschen Bahnstation[6] ausgestiegen, zu weit nördlich. Doch diesem Irrtum verdanke ich einen hübschen Spaziergang zum Meer, zum Strand von Amilcar[7].


Strand in Karthago[8]

Von der großen Straße zum Strand zweigte links eine viel kleinere ab. Auffällig an ihr waren zunächst die prunkvollen Bougainvilleen außen an der Gartenmauer einer Villa.

Und beim NachbarInnenhaus gab es sie noch höher, noch üppiger:

Ich folge der kleinen Straße abwärts, Richtung Küste. Da taucht linkerhand ein Märchenschloss auf:

Ich nähere mich vorsichtig, sollte es sich um eine Fata Morgana handeln, so will ich sie nicht verschrecken.

Es war keine Schimäre – das Kleinod war sehr wohl real, obwohl schon länger nicht mehr bewohnt.

Oberhalb des Schlösschens dann Urwald.

Ich weiß bis heute nicht, wie das kleine Tal zum Meer hin heißt. Für mich trägt es den Namen “Ravin de la Femme Sauvage“ – “Schlucht“ oder hier wohl besser “Tal der wilden Frau“.

Ein weiteres Mal erweise ich hiermit Hélène Cixous meine Reverenz – ihr Buch “Les rêveries de la femme sauvage“ hatte mich bei meinem Algier-Besuch das Original-Tal der wilden Frau besuchen lassen. Unweit (südöstlich) des Stadtzentrums von Algier ist es heute aber gezähmt und hat somit sein Recht auf diesen schönen Namen verwirkt.

Zum Abschluss meines kleinen Ausflugs zur Küste sollte ich doch noch Ruinen sehen – die berühmten römischen sind seit 1979 übrigens Unesco-Weltkulturerbe. Meine hingegen waren keine ausgeschilderten, beschrifteten. Sie “gelten“ schon deswegen nicht, weil ich keinen Eintritt zahlen musste.

Deswegen weiß ich aber auch nicht, was die Ruinen darstellen und ebenso wenig, wie alt sie sind.

Bitte den Einzug der Moderne im Bild rechts oben zu beachten, das hellblaue Werbeplakat – idyllischer schaut das Foto freilich ohne es aus:

Wünschen wir Tunesien viel Glück – um sich seines neuen Diktators zu entledigen und schnell einen Ausweg aus seinem wirtschaftlichen und politischen Sumpf zu finden.

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Endnoten:

[1] Erstellt von BishkekRocks am 18.3.2006 oder vorher, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:CarthageMapDe.png.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Laut Vergil – siehe seine “Aeneis“ – genoss Aeneas, der Stammvater der RömerInnen, dort ihre Gastfreundschaft und Liebe bevor er sich auf Geheiß Jupiters aus dem Staub machte und Rom gründete.

[4] Foto Kritzolina 9.1.2015, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pius-Antoninus-Thermen,_Karthago_Tunesien_Januar_2015_13.JPG.

[5] Ich habe im Juli/August 2018 dazu zwei Artikel auf der Webseite von Radio Afrika TV geschrieben. Zu finden sind sie noch heute als Kapitel 26 (Sieben Jahre danach. Tunesien braucht eine Revolution, der Jasminaufstand hat nicht gereicht) bzw. Kapitel 28 (Stimmen, nein Bilder aus Tunis) pp.197-203 bzw. pp.209-216 in Günther Lanier, Afrika. Exkursionen an den Rändern des Weltsystems, Linz (guernica Verlag) 2019 – erhältlich nicht bei Amazon, sondern nur beim Verlag unter office@guernica-verlag.at oder Tel. 0043-664-1540742.

[6] Der kleine Zug fährt vom Bahnhof östlich des Zentrums zuerst gegen Osten über einen langen Damm, der den Lac de Tunis (Tunis-See) zweiteilt, bevor er sich im Hafen La Goulette gegen Nordosten wendet und parallel zur Küste nach Karthago fährt. Der Tunis-See ist eine 37 km² große und nur rund einen Meter tiefe Salzwasser-Lagune.

[7] 36,86 Nord, 10,34 Ost.

[8] Foto GL 16.7.2018. Das gilt auch für die restlichen Fotos dieses Artikels.